Das mag befremdlich klingen. Warum solltest Du Dich freiweillig an einem Wochenende mit einem*r Toten beschäftigen? Dazu mit einem*r, mit der Du nicht im Reinen bist – das klingt anstrengend, schwierig und belastend. Nein danke! So mögen viele reagieren. Ja, verstehe ich.
Aber ehrlich: die Welt brennt und ich befürchte, dass das sehr viel damit zu tun hat, dass wir uns unseren Toten und auch uns selbst als irgendwann einmal Toten nicht stellen. Diese Nicht-Beschäftigung führt zu einer Grundunruhe im Unbewussten, die uns dazu verführt, von dem Wesentlichen abzulenken. Begleitet von Ohnmacht, Angst, manchmal sogar Panikattacken – wir können ja eh nichts tun. Und wer es sich leisten kann, jagt ansonsten den vermeintlichen großen und kleinen Annehmlichkeiten des Lebens nach: Eine Tasse Kaffee oder eine Zigarette oder am besten beides! Der nächste Urlaub, das nächste Event, vielleicht sogar die eigene Heirat oder ein Kind. Dabei immer wieder das Seufzen: Warum schaffe ich dies oder das nicht? Etwa abnehmen, früher aufstehen, Sport machen? Und so dreht sich das Rad immer weiter und weiter. Die Tage vergehen, das Leben plätschert dahin. Die wenigsten sind wirklich zufrieden. Es rumort im Untergrund. Wie aus der Falle heraustreten?
Als gestandene Trauerrednerin, die ich 20 Jahre an der Grenze zwischen Leben und Tod gearbeitet habe, weiß ich zweierlei:
1. Mein Tod ist sicher, nur wann er kommt, weiß ich nicht.
2. Dass ich jetzt in diesem Moment hier sitze und diese Zeilen schreibe, ist auch sicher. Der Rest ist ungewiss.
Daraus schlussfolgere ich, dass ich mich um meinen Tod und um mein Sein im Hier und Jetzt kümmern sollte.
Sterben ist schwer. Es bedeutet alles, aber auch alles loszulassen. Die meisten in der westlichen Welt sind sehr ungeübt darin.
Sterben fällt leichter, wenn ich mit meinem Leben und der Welt um mich herum im Reinen bin. Alle Beziehungen hingegen, die Zündstoff in sich tragen, werden mir ein friedliches Sterben schwer werden lassen. Und zu diesen Beziehungen gehören eben auch die zu unseren Toten. Sie leben in uns weiter, ob wir wollen oder nicht.
Nun mögen viele von ihnen einen friedlichen Platz in uns gefunden haben. Mit denen haben wir meistens keine Probleme. Sie erinnern wir gerne, beraten uns mit ihnen, sind dankbar und auch traurig zuweilen. Sie begleiten uns positiv. Aber es gibt eben auch die anderen, die mit dem Zündstoff. Sie zu ignorieren, zu verdrängen, kostet sehr viel Kraft. Es ist so, als gingst Du durch die Straßen und müsstest ständig darauf aufpassen, bloß nicht zufällig in diese Toten hineinzulaufen, ihnen boß nicht zu begegnen. Da hast Du echt zu tun.
Nur die meisten merken das gar nicht. Für sie ist das normal. Ist es aber nicht. Auf Dauer wäre es Kräfte sparender, uns diesen Toten zu stellen. Trotzdem schreckst Du vielleicht davor zurück. Vielleicht weil Du Angst hast, dass diese etwas in Dir auslösen, was Dich beunruhigt, verstört, Angst macht. Das kann ich verstehen. Andererseits glaub mal nicht, dass sie Dich in Ruhe lassen, solange Du nur Deine Augen und Ohren vor ihnen verschließt. Ganz im Gegenteil, un-gesehen und un-beachtet sorgen sie als beleidigte Leberwürste oft für enorm destruktive Energien in Dir. Ich empfehle daher: angucken.
In einem geschützten Rahmen, das ist wichtig. Wohlwollende Gemeinschaft und Zeugenschaft kann da eine enorme Schutzquelle sein.
Dazu ein ritueller Rahmen, der Halt und Orientierung bietet und Gefühle zu kanalisieren vermag. Wenn Ihr Euch traut, kommt gerne:
zu einem der Erzählworkshops „Erzähl uns vom Tod und beginn end:lich zu leben“ (s. Unterseite Erzählworkshop auf dieser Homepage)
Es ist natürlich nicht immer die „richtige Zeit“ dafür. Wenn Eure Toten weniger als ein Jahr tot sind oder Ihr starke Abwehr in Euch spürt, ist das nichts für Euch. Da solltet Ihr Eurem Bauchgefühl schon trauen. In der Regel wissen wir, was wann für uns gut ist. Wenn Du also unsicher bist: vielleicht anrufen und bei mir nachfragen, was genau auf Dich zukommt, so wird es vorstellbarer und leichter für Dich abschätzbar. Und/oder eine Nacht drüber schlafen oder auch zwei, dann tief durchatmen, 10 x mindestens, und in Dich hineinspüren, nicht denken! Du wirst wissen, was zu tun ist.
Ich freue mich auf Euch und Eure Toten!
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